Ilse Bindseil

Chez monsieur Ibrahim oder
Wie ich meinen Freunden den Kreis erklärte

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Wie ich meinen Freunden das Problem mit meinem Namen erklärte

Einen Namen gebraucht man, man erklärt ihn nicht. Aber da ich auf leeren Magen den Marillenschnaps probiert hatte, empfand ich das Bedürfnis, meinen Freunden das Problem mit meinem Namen zu erklären. Sie hatten ein Recht darauf, waren sie doch, wie ich zu ihnen sagte, ein Teil der Lösung.

So daß also das Problem der Vergangenheit angehörte?

Ganz so war es nicht, erklärte ich ihnen. Das Problem, das ich mit meinem Namen hatte, war ein Mangel, der in ihm selbst angelegt war. Er ruft nicht, sagte ich.

Abgesehen davon, ergänzte ich, daß er schlecht ausgewählt, ohne historischen Bezug oder religiösen Trost, klanglos, knorrig, knarzig ist, eine willkürliche Anhäufung von Konsonanten, die von scheinbaren Vokalen ohne eigenen Klangkörper in die Mitte genommen sind.

Überhaupt, schloß ich, wirkt er wie eine simple, dabei hocheffektive Entstellung. Stellt euch vor, ich hieße Lise, wie einfach und schön klänge das!

Mir kommt es so vor, setzte ich hinzu, als ob sich bei meinem Namen ein mittelmäßiger Dichter von Anagrammen betätigt hätte, mit mittelmäßigem Ergebnis und frei nach der Devise: Schön ist es nicht, aber es geht.

Das ist Scrabble-Moral, schloß ich in einem letzten Versuch, souverän und ironisch zu erscheinen.

Ich sagte, ich wollte mich nicht so weit vergaloppieren, daß ich behauptete, ob ein Name riefe, hänge von seinen Vokalen ab; denn nur der Vokal klinge, der Klang sei imstande zu rufen, und wo kein Vokal, da kein Klang, da kein Ruf, da kein Name, kurzum. Ich hätte damals also, als das Kind genannt werden mußte, keinen Namen bekommen. Freilich wäre genau an der Stelle, wo der Name saß, etwas anderes installiert worden. Durchaus etwas wie ein Name. Schließlich prägt der Ort oder prägt die Funktionsstelle das Ding. Bloß daß dieses Etwas keinen eigenen Klang hatte. Dadurch trat zutage, daß es kein Name war.

Freilich wurde ich ständig damit gerufen.

Mein Name, sagte ich, ist nicht sublimierungsfähig: er bewegt sich nicht. Da die Konsonanten wie von unechten Vokalen umgeben waren, einem Jota, einem schlappen, seiner Natur nach stummen e, waren sie wie eingeschlossen. Sie konnten nicht heraus. Wären sie in herkömmlichem Wechsel mit den Vokalen angeordnet, sagte ich, dann stünden sie immerhin mit einem Bein im Freien, und die Vokale, ihrerseits, fänden zu ihrer Tongestalt. Sie fingen an zu klingen. So aber, von rechts und links in die Zange genommen, sagte ich, waren sie fest unter Verschluß. Sie hätten dem Begriff des Okklusivlauts zu einer neuartigen Bedeutung verhelfen können. Nicht die Lippen, sondern die Nachbarlaute schlossen sie ein, und sie explodierten auch nicht, sondern implodierten in einer fortlaufenden Kette von Fehlzündungen, von denen niemand etwas merkte.

Außer mir, sagte ich. Ich bekam sie zu spüren.

Obwohl mein Name unbelebt ist, sagte ich, tot, in einer niederschmetternden Weise dinglich, dabei alles andere als körperlich, ist er auf seine Weise doch ein Abbild der Explosivität, die meine Grundverfassung ist. Auf seine triste Weise ist er wie die Grundform der Sprache, die ihn so schlecht bedacht hat: ein Laut.

Ibrahim schob mir ein Glas von meinem Lieblings-Rosé herüber. An der Dankbarkeit, mit der ich es annahm, konnte ich ablesen, wie schwer es mir fiel, von meinem Namen zu reden.

Aber ich wollte es einmal gesagt haben.

Da der Schaden also nicht in der Beziehung zwischen mir und meinem Namen, sondern bereits in ihm selbst bestand, war er irreparabel. Dieser Name war defekt. Da er kein lebendiges Wesen war, konnte der Defekt sich nicht auswachsen. Da er kein Ding war, konnte er nicht repariert werden. Da er wie ein Mühlstein um meinen Hals lag, konnte ich mich seiner nicht entledigen. Wie ein Felsen lastete er auf meiner Seele, und ich konnte ihn nicht bewegen. Ich konnte gar nichts für ihn tun. Alle Hoffnung ruhte vielmehr auf den Schultern ausgerechnet jener, die für meinen Namen am wenigsten verantwortlich waren, die ihn bloß gebrauchten.

Sie hätten ihn ja auch weglassen können.

Ich kannte mal einen, sagte ich, der konnte ihn wochenlang nicht gebrauchen, und wenn, dann nur in der Kombination mit dem Allerweltsgruß: »Hallo«.

Hallo, sagte er, und dann fügte er diesen seltsamen Laut hinzu, von dem die Leute behaupten, daß er mein Name wäre. Von dessen Befremdlichkeit schien er im übrigen keine Vorstellung zu haben. Nur konnte er ihn eben nicht unbefangen aussprechen. Er konnte mich nicht unbefangen anreden. Er hatte kein Zutrauen zu mir. Er hatte etwas gegen mich, oder er war kein unschuldiger Mensch.

Er überschätzte sich, und zu mir hatte er kein Vertrauen.

Es ist nämlich wie im Märchen, sagte ich und sah unschuldig in die Runde. Ein guter Mensch ist erforderlich, damit der Schaden geheilt wird. Der ontologische Schaden, der meinem Namen anhaftet, wird durch den unschuldigen Umgang mit ihm geheilt. Nicht durch den achtlosen oder pragmatischen Umgang, den mag ich als angenehm oder wie man sagt als »nicht unangenehm« empfinden, aber er tut nicht den gleichen Dienst. Er heilt nicht. Pragmatisch ist derjenige Umgang mit meinem Namen, der so tut, als wäre er »irgend so ein Name«. Dem Samurai mag es schmeicheln, daß er »irgend so ein Samurai« genannt wird. Da er den Weg der Außerordentlichkeit gewählt hat, bleibt ihm nur noch, den Weg in die Gewöhnlichkeit zurückzufinden, schließlich ist es das höchste Ziel des Samurai »irgend« zu sein. Da mein Name nicht aus der Außergewöhnlichkeit, vielmehr aus der Entstellung zurückgeholt werden muß, reicht es für ihn nicht, daß man ihn als »irgend so einen Namen« benutzt. Erst muß er einer sein, dann kann man ihn als »irgend so einen« gebrauchen. Wer ihn daher achtlos verwendet, entlastet ihn zweifellos, aber er entlastet ihn nicht von dem, was er ist, eine grausame Entstellung, von dem vielmehr, was er sein sollte. Er entlastet ihn davon, ein Name zu sein, sagen wir, er gebraucht ihn als Wort. Mich belastet es, wenn ich sehe, mit welcher Leichtigkeit mein Name verwendet wird. Ich fühle mich mit der grausamen Entstellung, die er für mich verkörpert, alleingelassen. Mir ist, als wäre sie mir zugeschoben, weg von einem an sich harmlosen Namen. Denn wenn nicht der Name entstellt ist – und die unbefangene Achtlosigkeit, ja Sorglosigkeit, die im pragmatischen Umgang mit ihm zum Ausdruck kommt, deutet darauf hin –, dann muß die Entstellung die Person betreffen; ich fühle mich nicht entstellt, aber ich bin es, und schon fühle ich mich so. Werde ich in einem solchen Moment mit meinem Namen angeredet, dann fühle ich mich körperlich bedroht. Ich fühle mich gleich beschädigt. Keine Barriere aus Wörtern oder Symbolen trennt mich von dem, der mich achtlos benennt, und bewahrt mich vor seinem Übergriff.

Unmittelbar bewahrheitet sich so für mich der Satz, daß man einen Namen wie eine Keule schwingen kann.

Da der Schaden, der meinem Namen anhaftet, ein ontologischer Schaden ist, kann er nicht geheilt, es kann ihm nur entgegengearbeitet werden. Wäre er kein toter Name, sondern ein lebendiger Zorn, würde ich sagen, dieser Zorn kann nur beschwichtigt werden. Ein unschuldiger Gebrauch meines Namens ist kein Beweis für die rettungslose Dummheit des Sprechers – hier mußte ich lachen, denn früher hatte ich das wahrhaftig geglaubt –, er besänftigt den Zorn, den der Name über seinen eigenen Schaden empfindet, über seinen Defekt. Solange er achtlos genannt wird – so wie man davon spricht, daß »sein oder ihr Name in der Unterhaltung fiel« –, also mühelos ausgesprochen, seine Funktion reibungslos betätigt wird, ist sein Schaden nur mir bewußt; ich zucke zusammen, wenn ich höre, wie mein Name »fällt«, aber seltsamerweise scheint nie jemand etwas zu merken. Wird er jedoch in aller Unschuld gebraucht, dann komme ich mir vor wie eine Debütantin auf dem ersten Ball. Mir dämmert die Bedeutung eines möglichen Namens, die Möglichkeit, daß auch ich ein Namensträger bin, jemand, der »bei seinem Namen gerufen« wird.

Wer meinen Namen achtlos gebraucht, verbündet sich mit der Sprache. Wer ihn unbefangen, in wahrer Unschuld gebrauchte, der würde sich mit mir verbünden.

Allein der Gedanke daran haut mich um. Hoffentlich bin ich selbst unschuldig genug, sage ich mir.

Es kommt vor, sagte ich, daß mich ein guter Mensch bei meinem Namen ruft. Dann muß ich aufpassen, daß es mich nicht umhaut.

Wenn ein guter Mensch meinen Namen gebraucht, sagte ich, fühle ich mich angeredet. Ich fühle mich so angeredet, wie wenn mein Name Lise wäre.

Ich fühle mich beschenkt.

Ich fühle mich wie neugeboren. Es fällt mir schwer, nicht abzuheben, meinen Namen nicht mit dem eines Engels zu verwechseln, den, der mich anredet, nicht mit dem lieben Gott, meine Mitmenschen nicht, insofern sie Namensträger sind, schlechtweg mit dem göttlichen Ebenbild.

Kurz, ich habe Mühe, nicht völlig abzudriften – und das nur, weil ein guter Mensch mich angeredet hat, oder ein Mensch wie einen richtigen Menschen!

So als wären wir Samurai allzumal, im denkbar erhabensten Sinn von »irgend«.

Offenbar kann ich nicht auf ein unschuldiges Verhältnis zu mir selbst verweisen, deshalb kommt nur ein erhabenes Verhältnis in Betracht.

Ich weiß, gab ich zu, so wird es nie etwas mit mir und meinem Namen.

Hoffnungslos zerrüttet, das Verhältnis.

Ich blickte auf, und wie immer, wenn ich monologisiert hatte, staunte ich über die solide Beschaffenheit der Dinge, die auf mich warteten, ihre Immergleichheit und Stabilität. Ich sah in die erloschenen Gesichter, die meine Rede offenbar schlechter überstanden hatten als die Dinge, wußte aber aus Erfahrung, daß es sich in Wahrheit umgekehrt verhielt. Meine Rede hatte sich für sie zur Hintergrundmusik gedämpft, zum Geräusch, sie war passager wie die Gesichter, das heißt, sie ging vorüber. Sie zählte nicht zu den Dingen. Auf sie war kein Verlaß, und ihr wohnte auch keine Notwendigkeit inne.

Auch auf die Freunde war kein Verlaß, da war nichts, was wir uns gegenseitig verübelt hätten.


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Quelle: http://www.ilsebindseil.de/txt/txt22.html.
Abdruck in: Ästhetik & Kommunikation 136 (2007), 29–35.

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